Vielleicht ist dir auch schon einmal aufgefallen, dass man bei sehr guten Pianisten selbst bei einem atemberaubendem Tempo praktisch gar keine Bewegung des Handgelenks sieht. Das liegt daran, dass ein bestimmtes Tempo mit viel Bewegung gar nicht zu erreichen ist — dafür ist schlichtweg keine Zeit.
Wenn Schüler also „technische Probleme” haben, dann liegt das in den meisten Fällen an einem zu festen Handgelenk.
Könnte das auch dein Stolperstein sein?
Viele Klavierspieler, die sich zum ersten Mal an schwierigere Stücke wagen, machen die Erfahrung, dass kurze schnelle Passagen meist ohne Probleme klappen, bei längeren, technisch anspruchsvollen Passagen man jedoch geradezu gegen die Klaviatur „ankämpft”.
Oder es klappt zu Hause noch ganz gut das Stück im Tempo durchzuspielen, im Unterricht oder beim Vorspiel wird es dann aber, bedingt durch Nervosität, zur Zerreissprobe.
Im ersten wie im letzten Fall ist es einfach nur unangenehm und hat nichts mit einem leichten und entspannten Klavierspiel zu tun, wie wir es bei den Profis sehen und wie wir selbst gerne spielen würden.
Wie schon gesagt ist der Grund dafür meist ein zu festes Handgelenk.
Was ist damit gemeint?
Habe ich nicht am Anfang gesagt, dass man bei Pianisten gar keine Bewegung des Handgelenks sieht?
Der Unterschied zwsichen Amateuren und Profis
Wenn man Amateure jeglicher Bereiche, besonders auch im Sport, mit Profis auf den jeweiligen Gebieten vergleicht, dann fällt einem eins sofort ins Auge:
Die Profis/Meister ihres Fachs führen ihre Bewegungen
1.mit großer Präzision,
2.mit minimalem Kraftaufwand
3.und mit sehr geschmeidigen, sehr kleinen Bewegungen aus.
Deswegen ist die Arbeit von Profis und Meistern von Außen betrachtet so harmonisch, elegant und „schön” anzusehen.
Jeder überflüssige Kraftaufwand, der auf Kosten der allgemeinen Balance gehen würde, wurde durch jahrzehntelange Übung ausgemerzt.
Hätten sie von Anfang an mit dem Fokus auf Ökonomie und Eleganz der Bewegung geübt und in diesem Sinne ihren Schwerpunkt von Anfang an auf die Ausbildung einer differenzierten Körperwahrnehmung gelegt — so wären höchstwahrschenlich noch früher Meister geworden.
Doch unser westliches Weltbild und alte Traditionen verhindern dies leider in den meisten Fällen.
In unserer Kultur erreichen mit wenigen Ausnahmen nur diejenigen die vollkommene Meisterschaft in [beliebigen Bereich aus Sport, Musik, Wissenschaft einsetzen], die das Glück haben, aus einem Umfeld zu kommen, das ihnen ermöglicht fast den gesamten Tag nur mit dem Üben zu verbringen.
Solche Menschen haben es nicht wirklich nötig achtsam zu üben und sich Gedanken darüber zu machen, wie sie am effizientesten und effektivsten zu dem gewünschten Ergebnis gelangen könnten.
Sie haben Zeit. Und diese nutzen sie, indem sie das, was sie am ersten Tag der Ausbildung gelernt haben, immerzu wiederholen und wiederholen, solange, bis es hier und da einen körperlichen „Aha”-Effekt gibt, der einen auf die jeweils nächst höhere Stufe hebt.
Irgendwann lernen sie intuitiv, wie sie bestimmte Probleme lösen. Zum Beispiel lernt ihr Körper mit der Zeit, sich vor schnellen Passagen nicht anzuspannen, nicht mehr jede Note bewusst zu verfolgen und vorauszudenken, sondern das Spielen einfach „geschehen” zulassen.
Du kannst nichts dafür
Stolpersteine der westlichen Kultur
1.Körperliche Hemmnisse
Der Weg über das zielfixierte, automatisierte Tun ist in unserer Gesellschaft der Übliche.
Hinzu kommt das mangelnde Körperbewusstsein und die schlechte Körperwahrnehmung, was dazu führt, dass wir Bewegungen von Außen nachahmen ohne sie innerlich nachzuspüren — etwa so, wie viele auch Musik oberflächlich hören und wenn sie sie nachsingen wollen, merken (oder auch nicht), dass sie es nicht können.
Der Grund dafür ist das fehlende Nachvollziehen von Innen.
Da uns aufgrund unserer mechanistischen Denkweise diese Dimension des Einfühlens fremd ist, verbringen wir viel Zeit mit dem Wiederholen von immer den gleichen Bewegungsabfolgen in immer der gleichen Weise und vertrauen darauf, dass am Ende allein die Anzahl der Jahre und investierten Stunden ausreichen wird, um uns über den Durchschnitt zu erheben.
Nicht zuletzt werden Lehrer und Trainer und ihre Lehrmethoden meist nicht hinterfragt, insbesondere, wenn sie einen „Namen” haben. Doch ist es auch längst kein Geheimnis, dass die besten Pädagogen nicht unbedingt die besten Spieler sind — und umgekehrt.
So unterrichten selbst an Hochschulen Pädagogen auf Basis eines wissenschaftlich längst überholten Denkmodells sowohl was die Funktionsweise des menschlichen Körpers betrifft als auch die Art und Weise wie wir lernen.
Wir sehen — es liegen viele viele Steine auf dem Weg zum virtuosen oder auch nur entspannten Klavierspiel.
Nur die wengisten haben die Geduld, das Glück und die Zeit trotz all dieser Hemmnisse durchzuhalten und von selbst den Weg zum Loslassen an den richtigen Stellen zu finden.
2. Psychische Hemmnisse
Zu den materiellen Herausforderugnen kommen noch die psychischen hinzu. Je älter man wird, umso mehr reflektiert man über sein Tun und seinen Fortschritt. Das führt dazu, dass man sich ärgert, dass man zweifelt, dass man sich „zusammenreißt” und sich „durchbeißen” will.
Solche Gedanken führen jedoch wiederum zu körperlicher Arnspannung — die wir beim Klavierspielen nicht brauchen, da sie unsere Beweglichkeit einschränkt. Ein Teufelskreis.
Oft kommt der Frust oder das Aufgeben gerade dann, wenn man das Gefühl hat, dass es „eh nichts bringt”. Man übt jeden Tag sein Stündchen, immer gleich, und nichts passiert. Man weiß bald schon vorher, dass es sich eigentlich gar nicht „lohnt” anzufangen und irgendwann lässt man es ganz bleiben.
Das ist schade.
Es geht nämlich auch anders.
Dafür muss man genau das Gegenteil von dem tun, was man bisher getan hat. Man muss sozusagen von Innen nach Außen arbeiten.
1 – 2 Stunden am Tag reichen nämlich aus, um vergleichsweise viel zu lernen und stetig voranzukommen — wenn man achtsam oder einfach „intelligent” übt.
Das bedeutet wiederum nichts anders als seinen Fokus beim Üben nicht auf das Ziel an sich zu richten, sondern auf die Art und Weise wie wir es erreichen wollen und dieses „wie” sollte möglichst effizient und effektiv sein.
Das setzt eine detaillierte Fehleranalyse voraus.
Mehr dazu hier: So übt man effektiv Klavier und macht schneller Fortschritte
Schritt 1: Fehleranalyse
Wenn dein Handgelenk fest ist, sind deine Finger in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt, sodass du weder schnell spielen noch dich musikalisch so ausdrücken kannst, wie du möchtest.
Ist dir dieser Sachverhalt nicht bewusst, wirst du in dem Bemühen Fortschritte zu machen wahrscheinlich den zunehmenden Schmerz ignorieren und deine gewohnten Übungen durchexerzieren.
Tu’ das nicht!
Wie oben beschrieben bringt dich das kurzfristig nicht weiter und langfristig bekommst du womöglich erst eine Sehnenscheidenentzündung, bevor es vielleicht irgendwann „klick” macht und du plötzlich die Tasten auch mit weniger Kraft runterkriegst 😉
Schritt 2: langsam und leise spielen
Um das fester werden der Handgelenke zu vermeiden, spiele die Stelle lieber mehrmals sehr langsam und sehr leise.
Beherzige dabei, die Finger nicht aktiv hochzuheben so wie es Anton in diesem Video erklärt:
Es schadet auch nicht noch einmal zu überprüfen, wie du sitzt. Entspannte Arme sind zwar schon ein großer Fortschritt, aber wenn du gleichzeitig deinen Körper aktiv und mit Muskelkraft aufrecht hältst, geht wieder viel Energie an falscher Stelle verloren.
Nochmal zur Erinnerung: man bei Pianisten äußerlich keine Bewegung sieht, bedeutet es nicht, dass in diesem Moment das Handgelenk fest ist — im Gegenteil, es ist absolut durchlässig.
Merke: Nur mit einem absolut und jederzeit durchlässigem Handgelenk ist virtuoses und dabei gelassenes und präzises Klavierspiel, wie wir es bei großen Pianisten beobachten können, überhaupt möglich.
Jede „große”, also sichtbare Bewegung, verlangsamt hingegen das Spiel und man vergeudet Kraft und Energie, die man besser in die Tasten legen könnte.
Es ist dasselbe, wie eine Tür, die nur leicht anliegt, mit großer Wucht auftreten zu wollen, um ein Zimmer zu betreten.
In diesem Sinne könnte man die „Kunst des Klavierspiels” auch die „Kunst des Losassens” nennen, die Kunst nämlich, zunehmend anspruchsvoller werdende Stücke mit noch geschmeidigeren Händen zu spielen, indem man noch mehr unnötig beteiligte Muskeln „loslässt”.
Also lasse beim Spielen los:
Den Kopf,
den Hals,
den Nacken,
die Schultern,
die Ellenbogen,
die Handgelenke,
die Daumen,
den Rumpf,
die Oberschenkel,
die Knie und
die Füße.
Jetzt bist du gefragt!
Wenn du noch Fragen zum Text hast, irgendetwas unklar ist oder du etwas noch genauer wissen willst — dann schreib es in die Kommentare!
Wir freuen uns auf deinen Kommentar! 🙂
Weiterlesen: