„Jetzt reicht’s mir, spielt doch selber, wenn ihr’s so toll findet – ich hör’ auf!”
Dieser Satz wurde so oder so ähnlich schon einigen Eltern um die Ohren geworfen.
Oder man erinnert sich selbst an den glorreichen Tag, an dem man sich seine Freizeit zurückerobert hat. 8)
Es scheint für viele ein ungeschriebenes Gesetz zu sein, dass Klavier spielen
Nur wenige wissen, dass etwas, das mit so viel Hoffnung und Vorfreude angefangen hat, nicht in Frustration, Selbstzweifeln und in manchen Fällen leider auch mit Abscheu vor dem Instrument enden muss.
Neben der traditionellen Klavierlernmethode gibt es nämlich auch die „Suzuki-Methode“.
Shin’ichi Suzuki
Die Suzuki-Methode wurde in den 1960er Jahren von Dr. Shinichi Suzuki entworfen. Inspiriert wurde er von seiner Erkenntnis, dass japanische Kinder bereits mit fünf Jahren durch einfaches Nachsprechen ihre Sprache mit einem Wortschatz von ca. 4000 Wörtern mühelos und ganz beiläufig erlernen.
Suzuki übertrug kurzerhand das Lernprinzip der Muttersprache auf die Musik – darum ist seine Methode heute auch als die „Muttersprachen-Methode” bekannt.
Kinder lernten Geige spielen, indem sie das Gehörte aus dem Gedächtnis nachspielten und die Bewegungen des Lehrers nachahmten.
Doch das ist bei weitem nicht alles. Weitere Prinzipien der Suzuki-Methode schließen
Das erstaunlichste war, dass Suzuki seine Methode auch sehr erfolgreich bei dreijährigen Vorschulkindern anwandte, was bis dahin als unmöglich galt.1
So flogen bald Geigenlehrer und ‑schüler aus aller Welt ein, um sich die revolutionäre Methode zu eigen zu machen. Mittlerweile wird die Methode auch von Bratschen‑, Cello‑, Gitarren‑, Flöten, Harfen‑, Gesangs, Orgel- und natürlich auch von Klavierlehrern angewandt. Die Suzuki-Methode für das Klavier wurde von der Pianistin Haruko Kataoka begründet.
„Talent” ist lernbar
Die Methode war so erfolgreich, dass man meinen könnte, Suzuki habe einfach nur die talentiertesten Schüler unterrichtet. Nichts könnte der Wahrheit weiter entfernt sein.
Eine Art angeborenes „Talent” würde Suzuki zufolge überbewertet — um das zu unterstreichen, nannte er selbst seine Methode „Talent-Erziehungs-Methode”.
Jedes musikalische Talent bzw. jede musikalische Begabung sei Suzuki zufolge ausschließlich das Resultat von2
Talentforschung war ihm entsprechend ein Dorn im Auge. Da sie entweder nur an Kindern durchgeführt würde, die schon Jahre lang musikalisch ausgebildet und gefördert wurden oder im Gegenteil an Kindern, die gar keine Förderung erhalten haben (und nicht etwa an Neugeborenen), sei es gar nicht möglich, ernsthafte Rückschlüsse über ein möglicherweise „angeborenes” Talent zu ziehen.
Child first – then music
Zuerst das Kind – dann die Musik
Die Suzuki-Methode ist aber weit mehr als nur eine Unterrichts- oder Talent-Erziehungsmethode. Obwohl auffallend viele sogenannte „Wunderkinder” ehemals nach der Suzuki-Methode unterrichtet wurden, war Suzukis primäres Ziel ein ganz anderes.
Suzukis Lebensphilosophie fußte auf dem Zen-Buddhismus. In diesem Sinne hat er seine Methode auch als „gelebte Philosophie” verstanden.
Er wollte die Kinder mittels des Geigenunterrichts vor allem bei ihrer Persönlichkeitsentwicklung unterstützen und zu „ausgeglichenen Menschen” und „guten Bürgern” erziehen. Dieser Anspruch wurde nicht zuletzt durch seine Erfahrungen im zweiten Weltkrieg bestärkt.
Da im Zen-Buddhismus der Weg das Ziel ist, eignete sich der Musikunterricht Suzuki zufolge am besten dafür, ein Verständnis für Lernen als lebenslange Aufgabe zu entwickeln: Wie der Zen-Schüler arbeitet der Suzuki-Schüler mit Ausdauer und Selbstdisziplin tagein tagaus an sich selbst.
Ein Suzuki-Schüler-Elternteil oder
selbst Suzuki-Schüler sein
Da man als Suzuki-Schüler meist schon im Vorschulalter mit dem Spielen anfängt, sind die Eltern (oder zumindest ein Elternteil) ein integraler Bestandteil der Methode.
Ihre Aufgabe ist es, aktiv am Lernprozess teilzunehmen, sprich: sie wohnen dem Unterricht bei und sind auch zu Hause in den Übestunden anwesend, um zu helfen, zu korrigieren, zu ermutigen und teilzuhaben. Einige nehmen sogar selbst einige Stunden Unterricht, um ihrem Kind besser helfen zu können.
Das ist ein Bestandteil der Methode, der nicht überschätzt werden kann:
Es wird eine ganz besondere Verbindung zwischen Kind und Elternteil geschaffen, von der das Kind ein Leben lang zehren kann.
Die Hirnforschung bestätigt, dass ein Kind sich zu einer besonders starken Persönlichkeit entwickelt, wenn die Eltern ihm kontinuierlich vermitteln:
Du bist wertvoll und wichtig. Du kannst etwas.3
Noch besser als beim täglichen gemeinsamen Üben und spielen kann man dies kaum vermitteln.
Der Suzuki-Unterricht
Beim Anfangsunterricht wird in den ersten Stunden nur gesungen und das Verbeugen gelernt. Gespielt wird erst einmal nur „trocken”. Dabei lernt man beispielsweise sich in Kontakt mit dem Klavier nicht zu verspannen, alle Bewegungen ganz sanft und natürlich auszuführen und mit nur so viel Kraft wie nötig zu spielen.
Beim Geigenunterricht „spielt” man zunächst auf einer Papp-Geige mit einem Papp-Bogen. Allein das verschafft den Suzuki-Kindern einen Vorsprung von mehreren Monaten, indem es dem „Grapsch-Effekt” vorbeugt. Mit dem Papp-Bogen lernt man von Anfang an, den Bogen nicht zu fest, sondern nur ganz sanft und locker zu halten und beim Spielen nicht zu pressen.
Schließlich besteht der Alltag eines Suzuki-Schülers aus viel Musikhören: Aufnahmen (auch zum späteren Nachspielen) werden rauf- und runtergehört – bis man jede Note auswendig singen kann.
Ein weiterer Grundpfeiler der Suzuki-Methode ist der Gruppen-Unterricht, der entweder einmal wöchentlich oder ein bis zwei Mal im Monat stattfindet. Der Lehrer stellt Gruppen von Schülern zusammen, die ungefähr auf dem gleichen Spielniveau sind und erarbeitet mit ihnen zusammen Stücke. Die Kinder lernen dabei nicht nur den Lehrer zu respektieren und auf ihn zu hören, sondern auch weitere wichtige Sozialkompetenzen.
Erfahrungsberichte von Suzuki-Eltern4
Über das Musizieren hat meine Tochter begriffen, daß es sich lohnt, sich anzustrengen und etwas in Angriff zu nehmen, statt sich passiv zu verhalten.
Vor kurzem spielte mein Sohn auf einer Geburtstagsfeier ein Ständchen auf seiner Geige. Die anwesenden Freunde meines Sohnes hatten ganz erstaunt zugehört und ihn anschließend sehr gelobt. Mein eher schüchterner Sohn war überglücklich.
Ich bin der Überzeugung, daß das Geigespielen ihn schon sehr gefördert hat, insbesondere in der Konzentrationsfähigkeit (denn dafür braucht man auch eine gewisse innere Ruhe) und beim Herangehen an neue Dinge sowie bei der Stärkung seines Selbstbewußtseins.
Dadurch hat sie mit den anderen Kindern ganz schnell ein Konzertprogramm vorbereitet, das ohne Lampenfieber und innere Anspannung aufgeführt werden kann.
Dies bringt wichtige Erfolgserlebnisse mit sich, zugleich aber auch das Gefühl des Gebrauchtwerdens und der Mitverantwortung. In ihr ist dadurch eine Haltung gewachsen, die ich mit sozialer Verantwortung umschreiben würde.
Als wir das Stück „Die zwei Grenadiere” kennenlernten, habe ich ihm die Geschichte zuerst vorgelesen. Danach hörten wir gemeinsam das Stück auf der CD. Mein Kind fing bitterlich an zu weinen über die Traurigkeit in diesem Stück. Aber durch das Happy End ist es zu einem seiner Lieblingsstücke geworden.
Oft sage ich ihm, daß nach einer schweren Zeit wieder etwas Gutes folgt, so wie bei den zwei Grenadieren.
Suzuki und Gehirnforschung
Früh übt sich
Die Gehirnforschung gibt Suzuki in allen Punkten Recht. Zum Beispiel, das Kind möglichst früh – am besten schon während der Schwangerschaft – mit schöner, harmonischer Musik „einzustimmen“. Die Lust ein Instrument zu erlernen wird damit bereits vorbereitet, ähnlich wie das Bedürfnis, die Muttersprache nachzuahmen.5
Schöne Musik für Schwangere und für Babys
Kinder sind besonders offen für Klänge und Musik in der Zeit, in der sie sprechen lernen (genauer: bis zum fünften Lebensjahr). Sprache und Musik werden in denselben Hirnarealen verarbeitet.6
Zeitfenster
Wer früh mit einem Instrument beginnt, hat eine Leichtigkeit, die er später nie wieder erreicht.7 Gudrun Schwarzer, Musikpsychologin
Wichtig ist der frühe Einstieg insbesondere wegen den Zeitfenstern, in denen Kinder bestimmte Fähigkeiten sehr schnell und effektiv lernen können.
Kinder, die bis zum 10. Lebensjahr Geige oder Klavier spielen lernen, trainieren Fertigkeiten, die zu Verschaltungen der Nervenzellen im Gehirn führen, welche genauso entscheidend und irreversibel sind wie Verschaltungen, die genetisch bedingt sind.8
Bei Kindern, die bereits vor ihrem 7. Lebensjahr Musik machten, hat man außerdem festgestellt, dass der Balken („corpus callosum”), der beide Gehirnhälften miteinander verbindet, mehr Nervenfasern hat als bei Nicht-Musikern. So können sie möglicherweise ihr volles Potenzial nutzen und haben bessere Voraussetzungen dafür, „ganzheitlich” zu Denken.
Interessant ist vor allem die Wirkung der Musik auf die Intelligenzentwicklung. Zahlreiche Studien haben in den letzten Jahren zeigen können, dass Musik (insbesondere klassische Musik) und das Spielen eines Instruments das Gehirn generell trainiert. Insbesondere das logische Denken, das räumliche Vorstellungsvermögen und das Gedächtnis.9
Sind Zeitfenster zu, lässt sich das Versäumte kaum mehr nachholen (z.B. gibt es Zeitfenster für das Sehen, den Spracherwerb, für Bewegung und Motorik und für Musik).10
Berühmte Künstler und ehemalige Suzuki-Schüler
Unter Profimusikern gilt die Suzuki-Methode bis heute als eine der erfolgreichsten Lehrmethoden überhaupt. Das beweist auch die Liste der nach dieser Methode ausgebildeten Künstler – sie zählen heute zu den besten der Welt.
Jetzt bist du gefragt!
Hast Du vielleicht selbst mit der Suzuki-Methode Klavier spielen gelernt oder würdest es noch gern? Oder kennst Du jemanden, der nach dieser oder einer ähnlichen Methode unterrichtet wurde? Was sind Deine Erfahrungen?
Wenn Du noch nie Klavier gespielt hast – findest Du es nicht motivierend, nicht mit dem Notenlernen anfangen zu „müssen”?
Ich freue mich auf Deinen Kommentar! 🙂
Wir sind Dir für jede Unterstützung dankbar!
Quellen
- Hermann, Evelyn: Die Suzuki-Methode. Eine Philosophie der Lebenserziehung, aufgerufen am 01.11.2014. [↩]
- Siehe auch:Jentschke, Sebastian & Koelsch, Stefan: Sprach- und Musikverarbeitung bei Kindern: Einflüsse musikalischen Trainings, S.6f. [PDF] heruntergeladen am 01.11.2014. [↩]
- [Deutsches Ärzteblatt] Eltern-Kind-Bindung: Kindheit bestimmt das Leben, aufgerufen am 30.10.2014. [↩]
- Kerstin Wartberg: Welchen Einfluß hat Musikerziehung auf die Entwicklung des Kindes? [↩]
- Siehe auch: Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF): Macht Mozart schlau. Die Förderung kognitiver Kompetenzen durch Musik, S. 59f. [PDF], heruntergeladen am 24.02.2015. [↩]
- Jentschke, Sebastian; Koelsch, Stefan: „Sprach- und Musikverarbeitung bei Kindern: Einflüsse musikalischen Trainings”, in: Bell & Kupetz (Hrsg.): Der Einsatz von Musik und die Entwicklung von „audio literacy” im Fremdsprachenunterricht, Lang 2010. Online aufgerufen am 01.11.2014. [↩]
- [FOCUS Magazin | Nr. 10 (1996)] Kindergehirn: Kluge Köpfchen, aufgerufen am 30.10.2014. [↩]
- Mantel, Gerhard (Hg.): Ungenutzte Potenziale. Wege zu konstruktivem Üben, Mainz 1997, S. 49. [↩]
- Rauscher, Frances H.; Shaw, Grodon L. et al.: Music training causes long-term enhancement of preschool children’s spatial temporal reasoning, aufgerufen am 02.07.2014, 14:00.
[Epoch Times (29.09.2006)] Musikunterricht fördert Gehirnentwicklung, aufgerufen am 02.07.2014, 16:00. [↩] - Wolf Singer: Was kann der Mensch wann lernen, aufgerufen am 01.11.2014. [↩]
- [FAZ Feuilleton (04.08.2006)] Julia Fischer: Deutschlands jüngste Professorin, aufgerufen am 30.07.2014. [↩]
- [Crescendo Magazin (16.03.2013)] Nach Gehör oder Noten?, aufgerufen am 30.07.2014.
Foto: © Juhan Sonin — flickr — cc by 2.0, bearbeitet von Margarita Gross. [↩]
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