In dem Beitrag „Verhindert dein festes Handgelenk deine Klavier-Fortschritte?” habe ich auf die fundamentale Bedeutung eines entspannten Handgelenks beim Klavierspielen hingewiesen und darauf, wie ein zu festes Handgelenk dein Klavierspiel sabotieren kann.
Jetzt möchte ich dir die 5 wichtigsten Tipps aufzeigen, mit denen du zu einem entspannten Handgelenk beim Spielen selbst schwierigster Stellen kommst und es beibehältst!
Anders man aus Gewohnheit sofort vermuten würde, wird das Handgelenk nicht dadurch freier, indem man es einfach „bewegt” — also, indem man mehr „tut”.
Im Gegenteil wird das Handgelenk umso freier und entspannter, je weniger man aktiv „tut” und je mehr Spannung und Muskeln man „loslässt”.
Das lässt sich für die meisten bei einfachen Stücken auch noch ganz gut nachvollziehen — schwierig wird es erst bei anspruchsvollen Stücken.
Um auch bei schwierigeren Passagen und Stücken ein jederzeit entspanntes Handgelenk beizubehalten, solltest du dein Bewusstsein auf folgende Dinge richten:
1. Denke von den Fingerspitzen aus.
Lasse das Handgelenk und die Finger nicht kollabieren
Ziel ist es, jederzeit ein möglichst freies und „durchlässigen” Handgelenk zu behalten. Das ist nur zu erreichen, wenn die Fingerspitzen führen. Hand, Ellenbogen und Oberarm sind dann nicht fixiert und werden sich automatisch an die Gegebenheiten anpassen.
Vor allem das Handgelenk kann je nach Spielsituation verschiedene Haltungen annehmen, doch sollte alles vom Rücken bis zu den Fingerspitzen stets eine durchlässige Einheit bilden.
2. Nicht pressen
Drücke die Tasten nicht länger hinunter als nötig
Die Taste(n) nach dem Runterdrücken nur so fest halten wie nötig ist, um die Taste unten zu halten.
Sobald der Ton erklungen ist, besteht kein Grund, die Taste weiter fest hinunterzudrücken. Das erzeugt nur weitere Spannung im Handgelenk. Hebe das Handgelenk im Gegenteil nach dem Anschlagen tendenziell sogar hoch und löse so die Spannung!
Auch bei lauten Akkorde sollte man nach dem Anschlag nicht mehr pressen, sondern die Anspannung sofort loslassen, sobald die Tasten unten sind.
Das gilt insbesondere auch für Melodiebögen. Man ist vielleicht geneigt, bei einer zusammenhängenden Phrase permanent zu pressen, weil man so das Gefühl hat, die Noten dadurch miteinander zu verbinden.
Akustisch ist dann jedoch genau das Gegenteil der Fall: Es hört sich „gepresst” und unzusammenhängend an, jede Note steht sozusagen für sich alleine da und die Melodie wirkt dadurch zerstückelt.
Ein weiterer Tipp ist ‚in größeren Bögen zu „denken”. Es ist so ähnlich, wie beim Vorlesen, wo wir erst den ganzen Satz überblicken, um ihn dann mit angemessener Betonung und Deklamation vortragen zu können.
Auch beim Klavierspiel sollte man möglichst das Gesamtbild oder eben erst einmal einen musikalischen Sinnabschnitt (eine „Phrase”) im Hinterkopf haben und z.B. acht Achtelnoten nicht als acht einzelne Anschläge „denken”, sondern vielmehr als eine Bewegung.
3. Mehr loslassen, weniger tun
Spiele nur mit so viel Spannung wie nötig
Insbesondere bei schweren Stellen im Stück neigt man dazu, an diversen Stellen des Körpers zu verkrampfen — so auch im Handgelenk.
Durch das Verkrampfen wird die „schwierige Stelle” dabei gleich noch schwieriger. Man sollte deshalb niemals versuchen, die Klaviatur mittels Kraft zu „überwinden”.
Deswegen empfehlen wir auch, nur dann zu üben, wenn man in der richtigen Stimmung ist und geben Tipps dazu, wie man seine inneren Widerstände (6 Tipps — wie man den Kopf für’s üben frei bekommt) und äußeren Verspannungen (5−10 Minuten auf dem Boden liegen und ruhig atmen hilft) überwinden kann.
Es versteht sich ja von selbst, dass man mit einer positiven oder neutraler Stimmung viel aufmerksamer und konzentrierter üben kann, was nun einmal die Voraussetzung für effektives Lernen und damit stetigen Fortschritt ist.
Der Wert körperlicher Gelöstheit wird beim Klavierspielen (wie bei allen anderen Instrumenten außer vielleicht Geige) ziemlich unterschätzt.
Niemand käme auf die Idee, ein Haus auf einem wackeligen Fundament zu bauen. Natürlich könnte man ein Haus auch auf einem schiefen Fundament bauen — jedoch müsste man dann ständig hier und da Stützen hinzufügen, damit es nicht einstürzt.
Wenn wir Klavierspielen, denken wir nur an Finger, Hände und vielleicht noch Arme.
Beim Klavierspielen geht es aber hauptsächlich um Koordination und Gleichgewichtsspiel.
Wenn diese Basis gestört ist, wenn wir z.B. stark gekrümmt sitzen und so der Rücken völlig ungestützt ist — dann sind die Muskeln gezwungen die Aufgabe der Knochen zu übernehmen.
Wir müssen allerhand komensatorische Bewegungen ausführen und der Körper kann nicht mehr nach dem Prinzip des geringsten Energieaufwands funktionieren.
Die Folge ist: Anstrengung. Das Klavierspielen wirs zum Kampf.
Wir müssen uns klar machen, dass unsere Hände nicht im luftleeren Raum hängen, sondern an unserem Körper. Und bei jeder Bewegung, die wir ausführen, ist auch der ganze Körper beteiligt. Genau genommen können wir nämlich gar keine isolierten Handlungen ausführen.
Wenn wir z.B. sprechen, dann kommt der Ausdruck durch Stimme, Zungenschlag, Kieferbewegung, Lunge, usw. zustande. Und wenn wir unseren Arm bewegen, dann gebrauchen wir die verschiedenen psycho-physischen Mechanismen des ganzen Körpers — erst dessen Zusammenwirken ruft die Bewegung eines bestimmten Körperteils hervor.
Wir müssen sozusagen zu Seismographen werden und lernen, rechtzeitig unnötige Muskelanspannungen wahrzunehmen und zu lösen, damit die Hände stets durchlässig bleiben und sich in jeder Millisekunde anpassen können und damit die Finger gelöst genug sind, die Taste von selbst hochkommen zu lassen.
Sobald zu viel Kraft im Spiel ist und Energie nicht mehr in Bewegung übergeht, werden Muskeln verkürzt und Reflexe verlangsamt — die Hand tut schnell weh und wird zunehmend fester.
Wenn du also beim Spielen merkst, dass du deinen Arm stark anspannen musst, um weiter spielen zu können — lasse den Arm im Gegenteil komplett los und spiele die Stelle dann noch einmal etwas langsamer.
Werde dann schneller, aber behalte die gefühlte Lockerheit im Arm bei.
Lerne generell, Verspannungen beim Spielen bewusst wahrzunehmen. Achte z.B. immer mal wieder darauf, wann du die Luft anhälst und Muskeln anspannst.
Wenn du beim Spielen fest wirst, ist das meistens ein Zeichen dafür, dass du zu schnell oder zu laut spielst oder dass der gewählte Abschnitt zu groß ist.
Halte dann kurz inne, und spiele die Stelle noch einmal — in einem kleineren Abschnitt oder langsamer — genau so, wie du sie spielen kannst, ohne zu verkrampfen und den Atem anzuhalten. Steigere dich langsam.
4. Vergiss nicht zu atmen
Minimiere den Stresspegel
Häufig kommt es bei schweren Passagen oder während dem Konzert dazu, dass man die Luft anhält — man hält quasi den ganzen Körper fest und wird dann förmlich zu einer einzigen großen Verspannung.
An das Gehirn wird das Signal gesendet, du befändest dich in einer Notsituation. Adrenalin wird ausgeschüttet und die Konzentration ist dahin. Alle Energie fließt in die Beine. Der Körper ist bereit zum Weglaufen.
Auf diese Weise ist das Üben weder effektiv noch effizient.
Halte in diesem Fall kurz inne, atme tief durch die Nase ein und sehr langsam aus — noch langsamer klappt es, wenn du dabei ein „a” hauchst. Das beruhigt das Nervensystem und dein Körper wird wieder entspannt und durchlässig!
5. Denke immer an die Mittel, nicht an das Ziel
Das „wie” ist wichtiger als das wie lange
Wenn du übst, dann achte auf die Qualität deiner Bewegungen. Beobachte deine Finger und Hände und fühle vor allem auch von Innen in sie hinein — um entstehende Verspannungen — wie ein Seismograph — schon früh zu registrieren.
Es muss sich immer so leicht wie möglich anfühlen.
Wenn es schwer wird, dann wähle einen kleineren Abschnitt und spiele langsamer und leiser. Dann steigere dich, werde schneller oder lauter — aber immer mit demselben leichten Gefühl.
So ist auch bei schnellem Tempo garantiert, dass du mit einem Maximum an Leichtigkeit und Genauigkeit spielst!
Wenn du noch Fragen zum Text hast, irgendetwas unklar ist oder du etwas noch genauer wissen willst — dann schreib es in die Kommentare!
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