So wie man übt — so spielt man
Dein Können hängt von deinen Übegewohnheiten hab. Das ist die goldene Regel des Klavierspiels. Übefehler in jeglicher Form — werden zu schlechten Gewohnheiten. Darum sind schlechte Angewohnheiten beim Üben der größte „Feind” eines jeden Pianisten und Musikers. Ob beim Auswendiglernen, Improvisieren oder der Klaviertechnik… überall stehen einem vor allem schlechte Angewohnheiten im Weg.
Die meisten sind darin begründet, dass wir gewohnt sind, sehr zielfixiert zu üben. Wir wollen so schnell wie möglich dieses Stück spielen können. Also setzten wir uns ans Klavier und spielen los.
Dabei sitzen wir dem Denkfehler auf, dass wir, wenn wir uns besonders beeilen und so viele Wiederholungen wie möglich machen auch besonders schnell ans Ziel kommen.
Die Zielfixiertheit äußert sich besonders stark, wenn eine Stelle nicht klappt, z.B. ein Lauf oder ein Sprung. So schnell wir können spielen wir diese Stelle mehrmals hintereinander — in der Hoffnung, dass es beim nächsten Mal plötzlich klappt — einfach so.
Wie wir das Ziel erreichen, wo die Stolpersteine sind und wie man diese am effektivsten beseitigt sind also meist nicht Teil unserer Überlegungen.
Manchmal, wenn es gar nicht geht, dann gibt uns unser Klavierlehrer spezielle Etüden, damit die Finger nicht so planlos durch die Gegend laufen. Also werden sie rausgekramt, ein Blick auf die Uhr — man möchte sich besonders lange quälen, um sich später auf die Schulter klopfen zu können — und dann wird in der selben (zielfixierten) Manier die Etüde x Mal rauf und runter gespielt.
Klingt das nach einem guten und erfolgversprechenden Konzept? Ist das eine gute Herangehensweise, um Probleme zu lösen?
Wie ich schon in Artikel Klaviertechnik — Wege zu einer natürlichen Spielweise geschrieben habe, kommt wohl jeder Klavierpieler irgendwann einmal an den Punkt, wo mit dieser Übemethode einfach keine Fortschritte mehr zu erzielen sind.
Der Pianist Andor Foldes hat festgestellt, dass ein Pianist bei einem Konzert von 80 Minuten ca. 100.000 verschiedene Bewegungen ausführt — und das alles mit den Händen! Das macht deutlich, dass der wichtigste Bestandteil beim Klavierspielen die Koordination der verschiedenen Köperbewegungen, ja im Grunde der Gesamt-Koordination des Körpers ist.1
Zusätzlich muss man sich bewusst machen, dass alles andere, was man während des Übens am Klavier macht, jedes noch so kleine Detail (von der Atmung, über das Sitzen bis hin zur allgemeinen Stimmung), im Gehirn verankert wird.
Wenn wir uns das nächste Mal ans Klavier setzen wird das gespeicherte Programm geladen — inklusive des Kontextes der letzten Übesitzung (d.h. jede muskuläre Anspannung, jeder Fehler, jede Anstrengung, jedes Zusammenzucken, usw.).
Übt man zielfixiert — übt man unaufmerksam. Stellen, die nicht klappen werden nicht als Problem erkannt, das es auf möglichst effiziente und effektive Weise zu lösen gilt, sondern man versucht nur sie schnell „hinter sich zu bringen”.
Das ist zum einen sehr schlecht für das Gedächtnis — das Gehirn merkt sich nur relevante Dinge, solche, auf die wir uns voll konzentrieren (meistens solche, die uns begeistern und uns deswegen alles um uns herum vergessen lassen).2
Wenn wir Fingerübungen machen oder eine Stelle zum hundertsten Mal spielen ohne uns auf eine bestimmte Aufgabe zu fokussieren, passiert nur eins: unser Gehirn langweilt sich, ist im Standby-Modus oder wir sind geistig größtenteils komplett abwesend.
Zum anderen muss man sich vergegenwärtigen, dass Üben nichts anderes ist, als Gewohnheiten zu kultivieren. Alles, was wir wiederholt tun, wird zur Gewohnheit.
Das bedeutet, dass z.B. für bestimmte, häufig wiederholte Bewegungsabläufe (inkl. Kontext) im Gehirn Autobahnen und Schnellstraßen angelegt werden — da sie offensichtlich für uns sehr relevant sind und darum schnell verfügbar bzw. „passierbar” sein müssen.
Wir bestimmen, ob die Autobahnen uns geradewegs zum angestrebten Ziel führen — ein Stück mühelos spielen — oder ob sie uns immer am Ziel vorbei führen.
Wenn du beim Klavierspielen nur wenig Fortschritte machst, dann überwiegen bei dir wahrscheinlich die schlechten Angewohnheiten. Sie sind wie Steine in deinem Weg und sabotieren deine Arbeit.
Beispiele für schlechte Gewohnheiten beim Üben
Beispiel 1
Gängige Übemethode: Die Tonleiter D‑Dur mehrmals sehr laut, schnell, mit hochgehobenen Fingern und unrhythmisch (natürlich unabsichtlich) spielen.
Denkfehler: 1. Um eine Tonleiter gleichmäßig spielen zu können, braucht man kräftige, präzise Finger.
2. Um kräftige Finger zu bekommen, muss man immer sehr laut spielen.
3. Um präzise Finger zu bekommen, muss man die Finger sehr hochheben.
Nachteil dieser Methode: Haben wir die Tonleiter z.B. immer nur laut, schnell und unrhythmisch geübt, haben wir die Finger „falsch programmiert”: zu viele unnötige Muskeln sind beteiligt, starke neuromuskuläre Muster wurden geprägt, welche unseren Fingern die Flexibilität nehmen.
Mit anderen Worten: wir haben unseren Fingern beigebracht, mit so viel Kraft wie möglich — statt mit gerade so viel wie nötig und so wenig wie möglich — zu spielen.
Und was die spezielle Stelle im Stück angeht — so sind wir immer noch weit davon entfernt, sie so zu spielen, wie sie notiert ist: nämlich im pianissimo beginnend, anschwellend und wieder abschwellend. Um das zu realisieren, braucht man nämlich sehr flexible, anpassungsfähige Finger und eine durchlässige Hand.
Wollen wir am Ende das Stück „musikalisch” vorspielen, passiert Folgendes: wir versuchen gleichsam ein zweites Muster (dynamisch flexibel, gleichmäßig) über das alte Muster (laut, fest und unrhythmisch) zu stülpen.
Das heißt, wir wollen die Tonleiter am Ende ganz anders spielen, als wir sie geübt haben.
Das nimmt entsprechend genauso viel Übezeit in Anspruch wie man in die Tonleiterübung bereits investiert hat und das Ergebnis wird unter Umständen immer noch nicht befriedigend sein.
Beispiel 2
Gängige Übemethode: Die Stelle immer wieder durchspielen — mit beiden Händen, schnell, ohne Metronom.
Denkfehler: Je öfter man „versucht” beim Durchspielen keine Fehler zu machen, umso wahrscheinlicher ist es, dass es „irgendwann” klappt.
Nachteil dieser Methode: Wenn man immer nur schnell und mit beiden Händen zusammen übt — bevor man jede Hand einzeln sauber beherrscht — macht man häufig „Flüchtigkeitsfehler” über die man hinwegspielt.
Diese Methode ist sehr ineffizient, da man das genaue Problem nicht lokalisiert hat (z.B. die Verbundung zweier Töne, unklarer Rhythmus in der linken/rechten Hand, etc.) und es so auch nicht lösen kann.
Das Ergebnis solchen Übens ist dasselbe wie im ersten Beispiel: man prägt starke, aber leider fehlerhafte (neuromuskuläre) Muster, die mit jeder Übesitzung weiter eingeschleift werden. Die so entstandene Straße im Gehirn wird immer weiter ausgebaut.
Wenn dann ein Vorspiel ansteht und man versucht, das Stück ein paar Mal möglichst fehlerfrei zu spielen wird es kaum gelingen.
Man hat schließlich Stunden damit verbracht, die „Fehler-Straße” im Gehirn zu pflastern und schließlich fährt das Gehirn diese automatisch entlang. Nun will man aber plötzlich woanders abbiegen — es existiert aber gar keine „fehlerfrei-Straße”. Auf den letzten Drücker ist da nicht mehr viel zu machen.
Die einzige Lösung ist wiederum das Stück neu einzuüben, sich neu zu konditionieren, neue Straßen anzulegen — Note für Note.
Wir sehen — es mag auf den ersten Blick die schnellste Methode sein, das Stück von Anfang an mit beiden Händen und möglichst schnell zu üben — am Ende kann das aber ein großer Stolperstein sein, den wir nach und nach abtragen müssen.
Schlechte Angewohnheiten an der Wurzel auslöschen
Flexible, anpassungsfähige Finger sind die Voraussetzung dafür, dass du während dem Spiel unter anderem feinste dynamische Anpassungen vornehmen kannst.
Das Vermeiden von Fehlern beim Üben garantiert zudem fehlerfreies Vorspielen und verkürzt die Übezeit.
Wir haben für dich in 5 Punkten zusammengstellt, wie du deine Finger in einem optimalen Bereitschaftszustand hältst und von Anfang an keine Fehler einübst:
So geht’s
1.Langsam üben — wenn du denkst, du übst langsam: übe noch langsamer.
2.Leise üben — leises Üben verhindert muskukäre Verspannungen, bildet also die Grundlage für ein höheres technisches Niveau. Es hilft auch dabei, Stellen im Stück, bei denen man verkrampft, wieder aufzulockern.
3.Übe mit getrennten Händen. Nur wenn jede Hand einzeln ihren Part kennt, können sie es auch zusammen spielen.
4.Üben mit Metronom. Nur wenn du weißt, wie der Rhythmus richtig geht, kannst du beim Spielen bewusst vom Tempo abweichen (Agogik) ohne dass es ungerade und unmusikalisch klingt.
5.Üben mit Zielen. Kein „blindes” Durchspielen mehr: Deine ungeteilte Aufmerksamkeit gilt dem Stück. Intensives, aufmerksames üben bedeutet weniger Übezeit und ein besseres Ergebnis.
Wenn Gedanken abschweifen, sich diese bewusst machen, nicht darüber aufregen und eventuell aufschreiben. Um störende Gedanken beim Spielen gar nicht erst aufkommen zu lassen, haben wir hier einige Tipps zusammengestellt.
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Quellen
- Foldes, Andor: Wege zum Klavier, 1963, S.28. [↩]
- Neurodidaktik: Lernen muss Spaß machen! aufgerufen am 09.02.2014 und Hüther, Gerald: Begeisterung ist Doping für Geist und Hirn, aufgerufen am 05.03.2015. [↩]
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